Publikation

'Der Lui'

Zum 175. Geburtstag des Ludwigsmonuments in Darmstadt

Hrsg.: Paul-Hermann Gruner und Albrecht Haag
Veröffentlichung: Frühherbst 2019
ca. 185 Seiten
Justus von Liebig Verlag, Darmstadt
ISBN 978-3-87390-419-4
GHL-Nr.: 129

Zum Inhalt

Ein Darmstädter Monument feiert im August 2019 Geburtstag: die Ludwigssäule – dominantes, unübersehbares Verfassungsdenkmal – wird 175 Jahre alt. Diese Zahl animiert zu einer Hommage an diesen senkrechten Solitär.

Zurzeit entsteht diese Hommage in Buchform. Neben einer historischen Übersicht zur Entstehung und Geschichte des Denkmals und einem Geburtstags-Essay zur Ausdeutung seiner Botschaften und Qualitäten wird die Publikation mit prägnanten, unterschiedlich angelegten Fotostrecken aufwarten: Sieben Fotografen der Darmstädter Tage der Fotografie werden jeweils „ihren“ Lui vorstellen und dabei die feste urbane Gemeinschaft von Luisenplatz und Ludewig I. – zwei identitätsstiftende Architekturzeichen einer Stadt, die 350 Jahre Hauptstadtfunktionen erfüllte – konzeptionell persönlich interpretieren und visualisieren.

Der Lange Lui (Volksmund) ist den Ehrensäulen für Napoleon in Paris, der Alexandersäule in St. Petersburg oder den Säulenmonumenten für die römischen Kaiser Trajan und Mark Aurel, für den Duke of Wellington oder auch für Admiral Horatio Nelson ebenbürtig. Ludewig I., der erste Großherzog von Hessen und bei Rhein, steht inmitten einer Phalanx der Wichtigsten. Hessen-Darmstadt hat ihn 1844 also wahrgemacht, seinen sympathischen kleinen Größenwahn.

Der Lange Lui zählt zu den ganz wenigen Architekturüberlebenden aus dem Klassizismus, die Darmstadt in weitestgehender Originalsubstanz geblieben sind. Im Kontext des Luisenplatzes ist er ein einsamer Überlebender des Zweiten Weltkriegs, des fatalen Bombenhagels der Brandnacht vom 11. zum 12. September 1944. Er verdient eine Ehrbezeugung. Sie wird zweigeteilt begangen: Im August wird es in Sichtweite zum Lui eine Foto-Ausstellung geben im Foyer der Sparkasse Darmstadt, im späten September, ebenfalls dort, die offizielle Vorstellung des Buches zum 175. Geburtstag.

Als Band 129 wird das Buch in der Publikationsreihe der Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde erscheinen, Justus von Liebig Verlag, Darmstadt.

In der Presse

Rezension zum LUI-Buch
von Stefan Benz/ECHO
"Hoch soll er leben" öffnen

Sichtproben


© Thomas Ott



© Werner Mansholt

Leseproben

Ausschnitte aus dem Essay "Idealmaß und Größenwahn" von Paul-Hermann Gruner, aus: "Der LUI. Zum 175. Geburtstag des Ludwigsmonuments in Darmstadt":

Es hätte auch ein kurzer Lui werden können. Oder ein sitzender Lui. Jener hätte, einem Entwurf von 1839 folgend, als gebeugter alter Mann mit einer halb durchgestreckten Linken seinem Volke die Verfassung von 1820 hingehalten. Als handele es sich um toxisches Material. Als spräche er: Gewaltenteilung, Parlamentarismus, Bürgerrechte – mal ehrlich, Volk: Willst Du das wirklich haben? Man darf sich ruhig kurz vorstellen, was der trockene Darmstädter Witz aus dieser kaum herrschaftlichen, eher linkisch-ratlosen Geste an Humor herausgemeißelt hätte. Ja wirklich: Was wäre über Jahrzehnte aus dem sitzenden Lui an süßem und bösem Scherz herausgekitzelt worden. Boshaft gallig. Niebergallig womöglich. Nun, die Chance wurde vertan. Darmstadt bekam bekanntlich einen langen Lui.

Und wie lang! Stiche, Zeichnungen und Gemälde um 1830 zeigen noch einen weiten Platz ohne echte Mitte. Horizontale Opulenz, der es an Aufmerksamkeit für ein Zentrum mangelt. Ein Defizit, das Hofbaudirektor Georg Moller erkannte. Es musste sich aus der Ebene etwas politisch Lotrechtes erheben und die Aufgabe der Spiegelung von Macht und Verantwortung übernehmen. Dem großzügig konzipierten Luisenplatz, ein Stadtraum von stolzen 15 000 Quadratmetern, ließen sie eine repräsentative Säule zukommen. Eine Mitte. Tatsächlich: Wenn eine repräsentative Platzanlage einer Residenzstadt im Zeitalter von Barock und Absolutismus jemals einer solchen Schlusssteinsetzung bedurfte, dann der Luisenplatz. Wenn schon Größenwahn, dann einer mit Stilwillen und Konsequenz. Wenn schon Größenwahn in der Fläche, dann auch in der Höhe. Der sitzende Lui wäre eine Katastrophe gewesen.

Luise und Ludewig wachen über ein tolerantes Pflaster. Auf dem Luisenplatz tummeln sich Menschen in einer Buntheit wie noch niemals, seit es ihn gibt. Wenn kulturelle und ethnische Vielfalt in Darmstadt sichtbar werden, dann gerade hier, unterm Langen Lui. In Darmstadt sind mehr als 33 000 Menschen mit nichtdeutschem Pass aus rund 152 Ländern zu Hause. Ergo: 20,5 Prozent der Stadtbevölkerung.

Gar keine Frage, der Lange Ludwig als tatsächlicher Leuchtturm – etwa wie das Säulendenkmal im norditalienischen Triest –, wäre noch schöner. Unserem Lui jedoch fehlt ein Meer. Er hat keinen Ozean, dem er was leuchten kann, und der Große Woog taugt nur bedingt. Aber leuchten tut er dennoch. Dieser Lui ist ein Leuchtturm für Entscheidenderes, nämlich für jene dem Fürsten abgerungene Emanzipation des Bürgers, in der Folge: des Volkes. Er ist ein Leuchtturm für die Demokratie. Zumindest einer qualifizierten Vorstufe.
Was man sonst so schön zu Geburtstagen singt, gilt beim Lui doppelt: Hoch soll er leben! Das tut er seit 175 Jahren. Und zählt zu den ganz wenigen Architekturüberlebenden aus dem Klassizismus, die Darmstadt in weitestgehender Originalsubstanz geblieben sind. Er ist im direkten Kontext des Luisenplatzes auch ein einsamer Überlebender des Zweiten Weltkriegs, des fatalen Bombenhagels der Brandnacht vom 11. zum 12. September 1944. Er ist ein Glückskind, wenn man so will.
Vielleicht färbt das ja ab, dieses Glück. Auf die Menschen. Es gilt – als Gemeinwesen, als urbane Gesellschaft – etwas wertzuschätzen, was den Unterschied ausmacht. Darmstadt hat sowas. Den langen Lui und den kleinen Größenwahn. Demnach: Darmstädter aller Länder, Herkünfte und Kulturen – freut Euch!
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